… und ihr heutiges Umland
von Artur Rötger
Die Bezeichnung „Schließ“ ist mundartlich geprägt und bezeichnete die westliche Gemarkungsecke der Waldung „Dicker Busch“. Unter dieser Bezeichnung verbirgt sich allerdings wesentlich mehr. Die „Schließ“ war nämlich ein Wasserbauwerk, das man fachlich als Wehr bezeichnete und aus schweren behauenen Sandsteinquadern bestand. Durch die Öffnung dieses Wehrs floss der Flutgraben, der zwischen den Wiesen und dem Wald „Dicker Busch“ sein Bett hatte. Dieser diente nicht nur der Entwässerung der Haßlocher Gemarkung, sondern auch des „Blauen See“ und den dabei liegenden Königstädter Waldungen rechts und links der Stockstraße, inkl. „Breiter See“, der von den Wegen „Breitsee Weg“, „Falltoreck“ und „Tannacker Schneise“ begrenzt wird. Durch Einschieben von Holzbohlen konnte man den Flutgraben aufstauen und somit die Haßlocher Wiesen in Trockenzeiten bewässern, was wohl die Hauptaufgabe der „Schließ“ war. Gut erhaltene Wehranlagen der gleichen Art sind bei Mönchbruch auch heute noch zu bewundern. Die Schließ lag also an der engsten Stelle des ehemaligen Mainlaufs südlich der Gaststätte „Roter Hahn“ unweit der Haßloch–Königstädter Grenze an der etwas zurückgesetzten Waldecke.
Die Grenze zwischen den beiden Gemeinden war durch einen mächtigen Grenzstein kenntlich gemacht. Er stand etwa an der heutigen Kreuzung des stadtseitigen Fußwegs an der Horlache (ehemaliger Gehrenweg) und Keplerring. Der Grenzstein trägt die Inschriften „HASLOCHER GEMARKUNG“ und „KÖNIGSTÄDTER GEMARKUNG“. Er wurde seinerzeit sichergestellt und befindet sich heute im Stadtmuseum von Rüsselsheim.
Dieses Grenzgebiet war im Mittelalter, gerade wegen des Wasserablaufs, oft Streitpunkt zwischen dem Hof des Klosters Eberbach im Rheingau und dem Dorf Königstädten. Wie man aus der Häufung bestimmter Flurnamen, wie „Wehräcker“, „Das große Wehr“, „Im kleinen Wehr“, „Wehrwiesen“ und „An den Palisaden“, vermuten kann, sind den Prozessen offenbar handfeste Streitereien vorausgegangen. 1258 wurden dann auf dem Gericht in Langen Verträge ausgehandelt, die den Wasserablauf regelten. Wenn man heute diese Verträge noch beachten würde, hätten die Königstädter kein Wasser im Keller, denn deren Missachtung wurde hoch bestraft.
Die „Schließ“, die im 20. Jh. keine Funktion mehr hatte, wurde Anfang der 30er Jahre durch die Haßlocher SA gesprengt. Ein großer Sandsteinquader mit einem Prismenansatz lag noch bis zum Ausbaggern des Flutgrabens 1960 im Bachbett und wurde von uns Jungen als Trittstein beim Überspringen des Grabens benutzt. Bei den erwähnten Baggerarbeiten kamen dann umfangreiche Reste der Schließ zum Vorschein.
In der Kriegszeit der 40er Jahre kokelte monatelang ein begrenzter Moorbrand an einer toten Ecke von Gehrenweg und kleinem Querdamm, der auf die „Schließ“ zulief. Er wurde wahrscheinlich von einer Brandbombe ausgelöst. Durch das teilweise Zuschütten und Verlanden des Flutgrabens und das Ausbaggern der Altmainwiesen (heute Horlache), wurden die letzten Spuren der „Schließ“ verwischt. Was bleibt sind die Jugenderinnerungen an unsere Abenteuerspielplätze in Wald und Flur, Wiesen und Bäche, beim Beobachten von Wild, Vögel, Fischen oder Ameisen, wo die zerrissene Hose, ein Dorn im Fuß oder ein Wespenstich offenbar dazugehörten.
Der ausgebaggerte ehemalige Flusslauf des Altmaindeltas sah am Anfang trist aus. Neue Böschungen wurden angelegt und das, was hässlichen Narben in der Landschaft glich, nahm doch im Laufe von Jahren Gestalt an. Die Ufer wurden grün, Bäume und Büsche reckten sich zum Licht. Es wurde von der Stadt ein neues Refugium geschaffen mit einer überschwänglichen Vegetation. Das silberne Band der Horlache erinnert uns auf 5 km an den träge dahin fließenden Fluss im römischen Germanien. Römische Funde im weißen Flusskies, eine Holzbrücke und ein römischer Wachtturm neben der Horlache an der Stockstraße sind beredte Zeugnisse. Die Horlache mit ihren angrenzenden Wäldchen, mit den Uferwegen und ihren schattigen Bänken ist heute ein Kleinod, das in jeder Jahreszeit seine Reize hat. Sogar die Tierwelt zog dort hin, wo sie sich wohlfühlt. Schnatternde Enten, Teichhühner, Fischreiher, ja sogar der seltene Eisvogel, das fliegende Juwel, erfreuen das Auge. Auf diese Naturlandschaft, die unser Haßloch wie in einem kleinen Kühkopf einbettet, können wir wahrlich stolz sein.