Mit gespitzten Ohren

Gut zugehört …und hier wieder erzählt von Friedel Roosen

Das höchste Glück war es in meiner Kindheit, wenn ich bei Familienfesten oder ähnlichen Anlässen mit gespitzten Ohren bei den Erwachsenen sitzen durfte, die sich Haßlocher Geschichtchen erzählten. Geschichtchen, Anekdoten die aus meiner Sicht schon so viele Jahre zurücklagen.

Es waren Geschichten dabei, die sich von mal zu mal wiederholten und vergaß man einmal eine zu erzählen, bettelte ich so lange, bis auch die „aufs Tapet“ kam.

Einige dieser Geschichtchen sind nachfolgend zu lesen, damit sie nicht ganz in Vergessenheit geraten und damit ein kleiner Einblick in früheres Ortsgeschehen geben wird und der Leser vielleicht Anlass zum Schmunzeln bekommt.

Die „Trummsäsch un die barmherzisch Lüsch“ …

Als die amerikanischen Panzer auf Haßloch zufuhren, lief ihnen unter anderem mein Großvater Jakob mit einer weißen Fahne entgegen, um zu signalisieren, dass es in Haßloch keinen Widerstand geben werde. Es fiel denn auch in der Folge kein Schuss und Haßloch blieb unversehrt.

Vielleicht auch deshalb wurde mein Großvater von den Amerikanern als kommissarischer Bürgermeister eingesetzt. Später wurde er dann gewählt und war der letzte Haßlocher Bürgermeister.

In der Zeit unmittelbar nach dem Kriege kam eines Abends der damalige Revierförster mit einem Haßlocher Bürger zu meinem Großvater und behauptete, diesen „auf frischer Tat“ beim Holzdiebstahl erwischt zu haben. Wie sich im Gespräch herausstellte, hatte der Förster den Mann in der Dämmerung mit dem Fahrrad auf der Stockstraße in Richtung Königstädten in Höhe des Blauen Sees „erwischt“. An dem Fahrrad sei ein Karren angebunden gewesen, in dem sich eine sorgsam in einen Sack gewickelte Trummsäge und ein Beil befunden habe. Also sei klar, dass der Mann einen Holzdiebstahl beabsichtigte, den er gerade noch verhindern konnte, folgerte der Förster. Der Roosen`s Fritz, mein Urgroßvater, hatte am Ofen gesessen und die ganze Zeit dem Gespräch zwischen seinem Sohn Jakob und dem Förster interessiert zugehört. Der erwischte Haßlocher saß zerknirscht, wie ein Häuflein Elend dabei und hatte noch kaum einen Ton von sich gegeben. Er wusste aus den Auslassungen des Försters, welche schweren Strafen doch auf Holzdiebstahl standen und „die Amerikaner fackele net lang“ hatte der ja auch noch betont.

Da meldete sich der Fritz zu Wort und sagte: “ Ei die ganz Uffreschung versteh isch net. De Schoa (Name leicht geändert) hot mer gestern Middach erst verzehlt, dasser en Ebbelboom ummache will, awwer dass seu Säsch und seu Beil zu stump defer wern. Do hun isch em gerode, er soll eniwwer mache nach Kinschdere zum Schmied, zum schleife und scherfe – un, gelle Schoo, des Zeisch hoste doch heit owend noch eniwwer bringe wolle – odder?“ Das Gesicht vom Schoo hellte sich merklich auf und er ergriff den angebotenen Strohhalm sofort. „Ei nordierlisch, genau so war’s. Isch hätt’s schon längst gesa`d woann misch nor ons‘ gelosse het“

Der Förster blieb zwar ungläubig und wollte auf seiner Version beharren, aber mein Großvater sagte nur noch: „de Schoo is en ordentlische Kerl, un wenn er des segt, muß isch`s glawe!“ Damit war der Fall erledigt.

Gottseidank hatte der Förster nicht in den Sack mit der Säge gelangt – sonst hätte er sich bestimmt an dem scharfen, blanken Metall der Säge geschnitten.

Beim „Ratsche“ …

„Ratsche“ was wird das wohl sein? Alt-Haßlocher wissen, dass man früher so das Skat spielen in Haßloch benannt hatte. Fernsehgeräte gab es zu dem Zeitpunkt an dem unsere Geschichte spielt noch nicht. Die Gaststätten waren Ort der Zerstreuung, des Treffens zum Meinungsaustausch, gaben Gelegenheit „en Schobbe ze blose“ (einen zu trinken), „Schnooge ze reise“ (Witze zu erzählen) und natürlich auch „ze Ratsche“.

„Die haache sisch glei …“

Eines Abends ging der Roosen’s Jakob mit einem Bekannten von Außerhalb, der ihn besucht hatte, in den Schützenhof. Kaum waren sie eingetreten und hatten sich in den ziemlich dichten Tabakswolken richtig orientiert, zog der Bekannte den Jakob mit den Worten am Ärmel „loss uns schnell widder fort mache, die haache sisch glei“. Drauf sagte der Jakob erklärend: „Bleedzinn, die Ratsche doch bloß! Un beim Noochkaarde werd alleweil halt e’wink dischbediert! Allo, hogge mer uns dezu, dann mergsde glei, dass se goanz friedlisch sin.“ … und der Erzählung nach wurde es noch ein recht vergnüglicher Abend.

Halt misch fest …

Appropo „die schlaache sich glei“… Da gab es zu dieser Zeit einen Haßlocher, ein kleines, recht dürres Männlein, der gern eine Zigarre rauchte und gern seinen Schoppen trank, aber nie viel Pinke-Pinke „drauf“ hatte. Wenn er etliche Schoppen intus hatte, wurde er „stark“. Er brach dann schon mal lauthals einen Streit vom Zaun, richtete aber nie einen Schaden an und krümmte auch keinem ein Haar. Das lag daran, dass er mehr „spiegelfechtete“ und das wussten die Haßlocher. Sein beliebtester Ausruf war in einer solchen Situation: „Halt misch fest, sunst vergess isch misch“ oder „Halt misch fest, sunsd haach isch en dood, den Hund!“

Eines Tages saß ein Fremder in der „Ratscher-Runde“ der Gaststätte Grüner Baum, also beim „Schneider-Lui“. Als zu fortgeschrittener Stunde unser steit­bares Männlein wieder seinen Teil getrunken hatte, pflaumte er den Fremden in seiner ureigenen Art an. Nur der kannte ihn nicht und nahm die Sache ernst. Als der Kleine wieder ausrief, „Halt misch fest, sunst hach isch….“, stand sein gegenüber auf und man erkannte, dass er zwei Köpfe größer war. Drauf rief der Haßlocher schnell: „Koa Ängst, die halte misch jo immer zurick!“ Und ein Lachen der gesamten „Ratscher-Runde“ entschärfte die Situation vollends.

Spieglein, Spieglein and der Wand …

Beim „Ratsche“ konnte es aber auch Bier-ernst zugehen … (in Haßloch eigentlich eher Ebbelwoi-ernst). Bei der „Fischern“, also im Lokal „Zur schönen Aussicht“, traf sich allwöchentlich eine honorige Skatrunde der sowohl ein Haßlocher wie ein Rüsselsheimer Politiker und weitere Geschäftsleute angehörten. Sie saßen immer zur gleichen Zeit am gleichen Tisch, ja jeder Einzelne auf seinem angestammten Platz. Da wurde Skat „gekloppt“, eben „geratscht“, dass der Tisch dröhnte. Auffällig war, dass der Haßlocher immer ein wenig bessere Karten oder ein bisschen mehr Glück zu haben schien, als die Anderen, denn insgesamt gewann er häufiger.

Eines Abends wirkte der „Rauscher“ wohl etwas heftig, so dass er nach dem zweiten Stich wären eines Spiels dringend auf Toilette musste. Er vertraute seine Karten einem am Nebentisch sitzenden mit den Worten an „is garnet ze verliern!“, worauf der dann seinen Platz einnahm.

Kaum war er draußen, blickte der in der Runde Neue auf und sah, dass sich in dem Glas eines gegenüber an der Wand hängenden großen Bildes zum Teil die Karten seiner Mitspieler spiegelten. Nachdem er das den anderen Spielern kundgetan hatte, rauften die sich die Haare und sagten: „no loss uns den bloß vom Kloo kumme, der konn ebbes erleewe! „.

Als er gleich darauf wieder zurückkam und mit der „Spiegelaffäre“ konfrontiert wurde, reagierte der Haßlocher völlig verdutzt und sagte, „des mit dem Bild is mer net gewohr worn! De Schlaach soll misch riern, wenn isch des gesehe hett.“

Die Mitspieler sollen noch etwas ärgerliches „gebrewelt“, also in den Bart gemurmelt haben und der Haßlocher wird wahrscheinlich insgeheim gebetet haben, dass der Schlag ihn nicht tatsächlich rührt. Aber als Wichtigstes wurde sofort mit dem Wirt vereinbart, dass bei den künftigen Spielen ein neuer Stammtisch bezogen wird – ohne Spiegelblick versteht sich!