… von Artur Rötger
In der heutigen Zeit, die von Hast, Lärm und fremden Gerüchen geprägt ist, kommen einem doch manchmal Erinnerungen an das frühere Dorfleben, das sich in den einzelnen Dorfstraßen oder auf der Wied abspielte. Kehren wir mal zurück in die Zeit der 30 er, 40 er und 50 er Jahre des vorigen Jahrhunderts; wie war es damals? Sicher ging’s auch manchmal laut her, aber es war ein anderes Lärmen. Es war etwas Spezifisches, etwas das auf unser Dorfleben paßte. Vieles lief behäbiger, man hatte mehr Zeit und man möchte fast sagen, daß die Uhren früher langsamer gingen.
Mit einer Gerte in der Hand trieb der „Kausevadder e Wutz“ zum Wiegen und klopfte am „Schützenhof“ ans Fenster, denn der Wirt Philipp Roosen war außer Landwirt auch noch Waagemeister. Die überdachte Viehwaage stand gegenüber im Schulhof (heute Spielplatz). In einer anderen Straße machte ein „Rummgänger“ oder Hausierer mit seinem Bauchladen die Runde und bot Zwirn, Nähnadeln, Scheren, Knöpfe und Durchziehgummi an. In einem Garten schimpfte die „Bawet“ und hängte ihre verrußte Weißwäsche ab, weil sich der Schornsteinfeger vorher nicht angemeldet hatte. Der „Berschdemann“, der blinde Schorsch von Königstädten, geführt von seiner Tochter, machte einmal im Jahr auch in Haßloch seine Runde und bot Pinsel, Bürsten und Besen an. Auf der Wied pfiff schrill die Bandsäge vom „Holzschnitter“ Bärsch, der mit seiner „Selbstfahrlafette“ bei Bedarf immer von Königstädten nach Haßloch kam und Holz schnitt. Nur, wenn er nicht konnte, dann kam eben Abraham Sachs, dessen Maschine vom Philipp auch mal mit dem Motorrad nach Haßloch gezogen wurde.
Ein Hallo gab’s wenn eine Kuh ausgerissen war, die ein Metzger gekauft hatte. Auf der anderen Straßenseite ging knarrend das Hoftor auf, und der Franz trieb die Sau „Walz“ in die Sackgasse. Wenn im Dorf ein ganz helles „ping, ping, ping….“ erklang, dann wußte jeder, dass die Zeit der stumpfen Messer und Scheren vorbei war. Der „Scherenschleifer“ hatte ein umgerüstetes Fahrrad, das er mit einem Handgriff aufbockte. Auf der Lenkstange drehten sich einige Schleifscheiben, die er mit seiner Tretkurbel antrieb. An der Mittelstange hing das Blatt eines Fleischerbeils, das er von Zeit zu Zeit anschlug und so auf sich aufmerksam machte. Das zischende Geräusch der Schleifsteine und der züngelnde, grelle Funkenstrahl zogen natürlich die Dorfjugend an.
Ein andermal hörte man die Handbimmel vom „Dibbemann“, der aus der Ecke Rödermark – Eppertshausen kam und hier seine „Häfnerware“ und später auch sein Emaille- und Aluminiumgeschirr anpries. Auch der „Lumbehännel“, der Altwarenhändler, machte ab und zu seine Runde mit dem lautstarken Ausruf „Lumbe, alt Eise, Knoche, Babier“. Ruhiger ging’s zu, wenn der „Wollmann“ mit Strickwaren, wie Strümpfe und Pullover, der „Korbmann“ Heck aus Raunheim mit seinen geflochtenen Weidekörben oder der „Wäschemann“ mit seinem Weißzeug die Haßlocher besuchten. Beliebt waren auch die „Griesemer Mädscher'“, die bepackt mit frischen Pflanzensetzlingen und Sämereien aller Art von Haus zu Haus gingen und um die Mittagszeit bei der „Bawett“ oder beim „Kätsche“ zu einem Teller „dick Supp“ eingeladen wurden.
Zum Straßenbild gehörten die vielen mit Pferden bespannten Holzfuhrwerke, die das Stammholz aus den Haßloch umgebenden großen Wäldern in die Sägewerke der Umgebung fuhren – genauso wie der schwarze „P4“ von Dr. Wegner aus Raunheim, der hier bei seinen Patienten die Runde machte.
Laut und staubig ging’s zu, wenn im Herbst der Kohlenhändler kam und seine schwarze Fracht Sack für Sack in die Keller schaffte. Den Kohlenfahrer Burger kannten wir nur mit schwarzem Gesicht.
Wer kannte damals nicht unsere Postboten, bis in die 40 er Jahre den „Roose – Fritz“ und nach dem großen Krieg den „Schader-Gerhard“, die nicht nur gute, sondern auch oft schlechte Nachrichten übermitteln mußten.
„Salaat, Tomaate, Abbelsine, Boohne, Kardoffele“ und dann noch „bim, bim, bim“ – so haben wir den Obst- und Gemüsehändler Dörfler noch im Ohr, wenn er mit seinem „Dreirad – Tempo“ in unseren Straßen aufkreuzte und mit seiner gewaltigen Stimme auf seine Angebote aufmerksam machte. Der „Fisch – Ewald“ aus Rüsselsheims Moagaß hatte besonders Freitags viele Kunden im vorwiegend katholischen Haßloch.
Für amtliche, gewerbliche und auch Vereins-Bekanntmachungen waren unsere Ortsdiener zuständig; vor dem Krieg war es Herr Benz und danach war es „de Dietze Schoa“. Die kürzesten Mitteilungen waren:“ Morgen kommt der Schornsteinfeger“ oder „Heute gibt es Fische“, wenn der Fischhändler Banz von Raunheim in der Waschküche von „Einnehmer Schader“ seine Fische feilbot.
Ich erinnere auch gerne an den Ausruf der Fellsammler „Haasefell“, „Gaasefell“ aus einer Zeit nach dem Krieg, wo in jedem Haushalt Haustiere gezogen wurden, denn es wurde ja alles verwertet. Für den Nachschub an Futtermitteln sorgte u.a. der Händler Dennerlein aus Königstädten, dessen Opel-Blitz in Haßlochs sandigen Straßen auch mal steckenblieb.
Für Abwechslung im dörflichen Alltag sorgte auch das fahrende Volk, die Zigeuner, die oftmals hier mit ihrem Wägelchen, vor das ein klapperiges Pferd gespannt war, haltmachten. Während der Senior mit einer Drehorgel und einem angeketteten Äffchen die Neugierigen unterhielt, versuchten die Zigeunerfrauen durch „Handlesen“ und „Wahrsagen“ oder durch den Verkauf von Spitzendeckchen oder ähnlichem etwas Geld zu machen. Die Zigeunerkinder liefen von Haus zu Haus und bettelten. Oft lagerten die Zigeuner am Waldrand – Ecke Mönchbruchstraße – Stockstraße, wo sich manchmal ganze Sippen trafen.
Tja, die Schirm- und Kesselflicker und viele der Obengenannten sind aus unseren Dorfstraßen verschwunden. Manche Kontakte sind geblieben; ich denke dabei z.B. an den Wassermann, an den Eismann, an den Dibbemann, an den Eiermann mir seiner schrillen Elektroklingel, an den Kartoffelmann aus Rheinhessen, oder den Ölmann, der den Kohlenmann abgelöst hat.
Aber was uns bleibt, sind die Erinnerungen an das Vergangene und die Gewissheit, dass das Gegenwärtige in einer ferneren Zukunft sicher ebenso fremd anmuten wird.